Generative KI als Service public? Ein Livestream zu dieser Frage.

Sollten wir generative KI als Teil des Service public verstehen? Über diese Frage diskutierten Moritz Zumbühl (Feinheit) und Andreas von Gunten im Rahmen eines Livestreams.

Beide zeigten sich beeindruckt von den rasanten Fortschritten der Large Language Models (LLMs) in den vergangenen Jahren. Für Zumbühl hat diese Entwicklung auch ganz persönliche Vorteile: «Als Legastheniker konnte ich mein Leben lang kaum Korrespondenz führen, die im Geschäftsleben als adäquat galt. Das hat sich jetzt schlagartig geändert. Und nicht nur das – ich kann plötzlich auch ohne Sprachbarriere mit Menschen aus China oder Lateinamerika kommunizieren.»

Emanzipatorisches Potenzial und Gefahr eines Oligopols

Ausserdem schaffe die Technologie auch einen einfacheren Zugang zu autodidaktischer Bildung, gerade für Menschen aus Ländern, in denen formale Bildung weniger leicht zugänglich sei. Auch von Gunten sieht ein grosses emanzipatorisches Potenzial in der generativen KI. Schon Suchmaschinen hätten den alten Menschheitstraum, auf alles Wissen der Welt zugreifen zu können, ein Stück weit greifbar gemacht – auch wenn das Urheberrecht der Verwirklichung Grenzen setzte. In Kombination mit LLMs sei es nun möglich, in wenigen Minuten Recherchen durchzuführen, die früher Tage gedauert hätten – und das nicht nur für wenige Spezialist:innen.

Diesem emanzipatorischen Potenzial stehen allerdings auch Gefahren gegenüber. Die Landschaft wird heute von amerikanischen Tech-Konzernen dominiert – und zunehmend auch von staatlichen oder halbstaatlichen chinesischen Unternehmen. «Dass autoritäre Regime Zugriff auf generative KI haben, wird nicht zu verhindern sein», meint dazu von Gunten. «Umso wichtiger sind offene Modelle, zu denen auch zivilgesellschaftliche Gruppen in den entsprechenden Ländern Zugang haben.»

Europa habe die technologische Entwicklung verschlafen, sind sich beide einig: «Wir rühmen uns, als erste eine KI-Regulierung zu haben. Aber wir schauen zu, wie wir überrollt werden», so von Gunten. Es fehle die Bereitschaft, genügend Geld in die Hand zu nehmen, um technologisch wirklich mithalten zu können. «Dabei wäre gerade die Schweiz absurd gut positioniert», stimmt Zumbühl zu. «Wir haben die Forscher:innen, einen Supercomputer, grünen Strom – und wir verschlafen die Entwicklung.» Das Schweizer Sprachmodell Apertus sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die 20 Millionen Franken, die da investiert werden, seien viel zu wenig: «Ein neuer Kampfjet darf gerne mal eben 600 Millionen mehr kosten. Für eine wichtige Schlüsseltechnologie investieren wir gerade mal einen Dreissigstel dieses Betrags.»

LLM als öffentliche Infrastruktur?

Sollten LLMs als Teil des Service public verstanden werden wie Wasser oder Strom? Ja, meint von Gunten. In Zukunft werde kein Individuum und keine Organisation mehr darum herumkommen, diese Technologie zu nutzen, die Vorteile seien einfach zu gross. «Ein LLM – und allgemeiner eine generative KI, die mit der technologischen Entwicklung Schritt hält – ist eine zentrale Infrastruktur und damit Staatsaufgabe.» Er fordert deshalb eine staatlich koordinierte Bereitstellung eines Systems, das für alle zugänglich ist – über Chat-Interface und API.

Zumbühl ist etwas skeptischer, was die staatliche Bereitstellung des KI-Modells selbst betrifft. Er rechne damit, dass es bei den aufwändigsten Modellen am Ende ohnehin nur einen Player pro politischem Block geben werde – ein amerikanisches Modell, ein chinesisches und ein europäisches. Was es aber brauche, seien Knowhow und verlässliche maschinenlesbare Datensätze. «Es braucht eine Art schweizerisches Manhattan-Projekt, das verifizierbare Daten über die Schweizer Kultur, Politik und Zeitgeschichte aufbereitet und zur Verfügung stellt.»

In diesem Punkt besteht wieder Einigkeit: «Wenn wir das nicht selbst machen, verlieren wir unsere digitale Souveränität. Dann entscheiden andere, wie unsere Geschichte, unsere Sprache und unsere Kultur in der KI vorkommen», betont von Gunten. Als mögliche Akteure, die diese Aufgabe stemmen könnten, nennen Zumbühl und von Gunten etwa das SRF, das Bundesarchiv oder die Nationalbibliothek.

Fazit

Das Gespräch machte deutlich: Die Frage, ob KI Teil des Service public sein soll, ist keine technologische, sondern eine politische. Es geht um digitale Souveränität, kulturelle Selbstbestimmung und den Mut, Infrastruktur neu zu denken. «Wir haben jetzt noch eine letzte Chance, unsere kulturelle und technologische Unabhängigkeit zu sichern», meint dazu von Gunten. «Die müssen wir nutzen.»

Das ganze Gespräch kann hier nachgehört werden.

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