Wieso die Schweiz nie ein Silicon Valley kriegen wird oder «the Story of Emre Sarigol»
Von Moritz Zumbühl | Kultur und Gesellschaft | 17.01.2012
Ende Dezember haben wir das Ende einer tragischen Geschichte begossen und einen Schlussstrich gezogen unter eine Sache, welche symptomatisch für die ganze Schweiz ist und welche jedem Unternehmer im Hightech-Bereich Tränen in die Augen treibt. Ein ebenso passender Titel für diese Geschichte wäre «Dumm, dümmer, Schweiz» - aber fangen wir ganz vorne an.
Ich habe Emre an Thanks-Giving vor 2 Jahren kennengelernt. Bei einer gemeinsamen amerikanischen Freundin in Zürich Wiedikon haben wir nach einem exzellenten Truthahn und einer halben Flasche Appenzeller Whisky festgestellt, dass wir beide, ohne uns vorher jemals gesehen zu haben, an der genau gleichen Idee arbeiten. Ich in meiner Freizeit - unsere Agentur Feinheit war bei weitem noch nicht auf einem so guten Fundament wie heute - und Emre als Forscher an der ETH. Kann ein Social Network komplett in einem Peer-to-Peer Datenspeicher nachgebaut werden? Gibt es somit für das Datenschutz-Problem von Social Networks (oder mindestens für den Teil der Data-Ownership) einen radikalen Ansatz?
Diese erste Nacht mit Emre wurde sehr lange. Die zweite Flasche Appenzeller Whiskey wurde geopfert und um den Kopf frei zu bekommen haben wir mit den anwesenden Damen auch ziemlich viel getanzt. Die Diskussion über das «Peer-to-Peer Facebook» haben wir aber nicht vergessen und drei Wochen später waren unsere Diskussionen so weit gediehen, dass wir ein eigenes Produkt daraus machen wollten. Emre war bereit, seine Doktorandenstelle aufzugeben und ich wollte die für einen ersten Prototypen notwendigen Ressourcen auftreiben. Wir wollten das Abenteuer wagen.
Ich richtete Emre bei Feinheit einen Arbeitsplatz ein und schuf eine Stelle. Ich kontaktierte potentielle Investoren und entschloss mich schlussendlich, die erste Runde Risikokapital selber zu stellen. Natürlich war mir bewusst, dass es schwierig werden könnte für einen Türken in Zürich eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. Mit einem Mastertitel, einer Stelle bei der ETH sowie einer persönlichen Empfehlung des Doktorvater-Professors sollte dies aber lösbar sein - dachte ich. Denkste! sagten mir viele schon damals, aber ich wollte es nicht glauben. Mit einem guten Anwalt und die Argumente auf meiner Seite müsste das machbar sein.
Für alle, die beim Lesen spätestens jetzt denken, ach der Zumbühl ist doch einfach ein enttäuschter Jungunternehmer, er soll es doch einfach mit einem Schweizer oder einer Schweizerin probieren, wir sind doch genau so schlau - nun, der oder die hat noch nie eine IT-Firma gegründet und hat auch noch nie versucht, einen talentierten, nicht hier geborenen Programmierer anzustellen. So musste ich diese Woche beim Kaffee im Casablanca im Tages-Anzeiger lesen, dass der Schweiz angeblich 30'000 Informatiker fehlen, nur um eine Stunde später auf dem Bürotisch die zweite Absage des Amtes für Wirtschaft und Arbeit AWA in Zürich liegen zu haben. «Leider können Sie immer noch nicht beweisen, dass Sie Emre Sarigol wirklich als Arbeitskraft brauchen», schreibt das AWA.
Auch wenn ich die Firma mit Emre im Kernteam gerne gegründet hätte, wäre es ja eventuell auch ohne ihn gegangen, meint jedenfalls die Behörde. Das AWA zwingt alle, die einen Ausländer ausserhalb des EWR anstellen will, nachzuweisen, dass niemand innerhalb der EU mit den gleichen Qualifikationen gefunden werden kann. Also habe ich die Stelle mehrmals national und international ausgeschrieben. Ironischerweise hat sich nur ein sehr gut qualifizierter Albaner gemeldet. Er hätte die Stelle gern angetreten - auch er war bereit, seine Doktorandenstelle an der Universität Bologna aufzugeben, um die gemeinsamen Ideen umzusetzen. Logischerweise musste ich auch ihm absagen.
Nach Dutzenden von Arbeitsstunden, mehreren Tausend Franken Anwaltskosten und 15 Monaten Wartezeit muss ich feststellen, dass die Schweiz lieber Informatiker teuer an der ETH ausbildet und ihnen später dann keinen Job geben will, als dass sie ICT-Startup-Firmen die notwendigen Fachkräfte zur Verfügung stellen. Die Schweiz, und im Speziellen der Kanton Zürich, gibt die kontingentierten Arbeitsbewilligungen lieber an Grossfirmen wie UBS oder Google als an kleine Unternehmen, welche neue Geschäfter aufbauen wollen. Kein Wunder, dafür hat ja Google eine PR Abteilung, welche jederzeit mit Wegzug drohen kann.
Vor 2 Wochen ist Emre nun definitiv zurück nach Istanbul geflogen. Mit etwas Pech wird er von der türkischen Armee eingezogen und an die syrische Grenze gestellt. Unsere Geschäftsidee (feel free to copy) ist eingefroren im Alpenpalast Schweiz. Nun ist meine Geschichte volkswirtschaftlich ja nur ein kleines Problem, respektive keines. Dummerweise sind wir bei Feinheit mit diesem Problem aber nicht alleine. Ich weiss von mindestens drei anderen Startups, welche verzweifelt das Anstellen von Fachkräften aus den USA oder Kanada aufgegeben haben weil es schlichtweg nicht machbar ist.
Die nächste Firma gründe ich darum in Berlin, Konstanz, New York oder eben doch direkt im Silicon Valley. Da finde ich zwar keine supersaubergeputzten Strassen und keine pünktliche SBB wird mich und meine Angestellten in der Gegend rumgondeln. Aber zumindest werde ich mein Team so zusammenstellen können, wie ich muss und will. Und nur das zählt im Silicon-Century! Arme Schweiz.
UPDATE:
Offener Brief an die Stadt: www.openthegates.ch
Artikel im Tagesanzeiger: «Ausländische Fachkräfte für Google & Co., nicht aber für KMU»