Einsatz in Indien
Von Boris Périsset | Kultur und Gesellschaft | 05.08.2010
Es brauchte eine ganze Weile um Zeit zu finden, auf meinen Zivildiensteinsatz in Indien zurück zu blicken.
Nach einem spannenden und intensiven halben Jahr bin ich wieder in der Schweiz. Wurde von Feinheit gleich wieder eingespannt und finde erst jetzt Zeit um zurück zu schauen.
Mein Einsatz war vielschichtig und abwechlungsreich. In diesem halben Jahr in Nordindien, konnte ich in eine andere, für mich neue Welt eintauchen. Ich wohnte und arbeitete fast ausschliesslich im Mahathma Gandhi Seva Ashram in Gwalior. Eine sehr intensive Auseinandersetzung, die nicht immer einfach doch immer spannend war.
Indien ist nicht China
Meine Vorstellung, dass Indien wie China sei; viele Menschen, all mittem im wirtschaftlichen Aufschwung, teilweise chaotisch aber aufstrebend erwies sich als naiv. Mein halbes Jahr in China (2006) hat mich nur bedingt auf Indien vorbereitet. Indien ist viel chaotischer, ungerechter, dichter, vielschichtiger, traditioneller (konservativer) als China. Die Bevölkerung hat sich seit 1970 verdoppelt 30% schneller als in China und wächst deutlich schneller weiter.
Ich persönlich spürte den Wirtschaftswachstum nicht direkt. Meine subjetkive Schlussfolgerung. Dieser statistisch gemessene Aufschwung beschränkt sich auf den Süden, Bombay (der neue Name Mumbai kommt von den Hindu-Nationalisten, welche verantwortlich für die Unruhen 1992/3 sind, sowie den Hass gegen die musslimische Minderheit scheuert) und New Delhi. Damit hat es sich. Die Bücher, Zeitungsberichte, Erfahrungsberichte die ich auf meiner Reise gelesen oder gehört habe sprechen alle davon. Die grosse Masse verliert, während eine kleine Elite profitiert. Same old same old.
Ekta Parishad für die Regierung
Doch genau darum kam ich nach Indien. Ekta Parishad arbeitet seit rund 20 Jahren daran, die Umverteilung und Gleichstellung aller Menschen in Indien zu fördern. Landrechte für die Ureinwohner (Adivasis) und Bauern. Ein mühsamer, langwieriger Prozess. Der in den Grundzügen nicht förderlich für die indische Regierung und deren Aufschwunge Pläne ist, auch wenn diese Forderungen in der Verfassung verankert sind. Landrechts-Ansprüche, Regionale Dorf-Verwaltungen, Grain-Banks, Förderung von Kleinbauern stehen im Kontrast zu den grossen Industrien, Special Economic Zones und Minen. Sie schliessen sich nur all zu oft gegenseitig aus und somit gewinnt die stärkere Lobby die Gunst der Regierung.
Die Regierung bemüht sich um den Dialog mit Ekta Parishad, da Ekta Parishad mittlerweile ein gutes Instrument für die Wahlen geworden ist, sie durch die Milleniumsziele der Vereinigten Nationen verpflichtet sind den Ärmsten ihres Landes zu helfen und Ekta Parishad eine wachsende gewaltlose «Alternative für die Bauern» zu den maoistischen Guerillias, den Naxalites, geworden ist.
Zurück auf den Boden
Gut. genug mit der grossen Kelle gerührt, der Alltag war nicht so dramatisch oder historisch. Das Medienzentrum war verstaubt und musste geputzt und poliert werden. Die Anfragen von Aufgaben in den ersten 6 Wochen hätten mich 2 Jahre gekostet. Doch wir konnten sie bündeln und auf einen gemeinsamen Nenner bringen.
Die wichtigste Aufgabe zuerst: Ekta Parishad ist noch nicht im Online Zeitalter angekommen. Ihre Daten liegen noch auf CDs oder DVDs in grossen Schränken. Sind ausgedruckt oder entwickelt und verstauben allmählich. Der Zugriff für wichtige Bilder ist schwierig. Für Aktivisten aus anderen Staaten sowie Journalisten. Somit war die erste und wichtigste Aufgabe klar: Der Aufbau eines Online Medienarchivs.
Daneben gab es kleinere Projekte, Weiterbildungen, Trainings, Logos, Blogs und Wikis die es zu erstellen gab. Auch Flyer und Poster durfte ich gestalten. Genug zu tun gab es immer.
Aus einer Vorahnung heraus organisierte ich eine tatkräftige Unterstützung aus Schweden. Tord Wessman leistete für 3 Monate einen Volunteer-Einsatz mit mir im Zentrum in Gwalior. Zusammen bauten wir die Webseite auf. Als Student für Advanced Computer Engineering kam sein Fachwissen genau richtig, den Programmierer sind zu teuer um sie für ein solches Projekt einzukaufen. Auch in Indien. Denn wie überall gehören Programmierer zu der oben genannten Elite. Ein Volunteer bot sich daher mehr als an.
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Holprige Stromversorgung und gekappte Telefonleitungen
Die grössten Probleme die wir auszustehen hatten, waren für unser Arbeit essentielle Abhängigkeit ans Stromnetz, welches nicht immer funktionierte. Täglich hatten wir Stromausfälle von bis zu 3-4 Stunden. Wenn dann mal eine gute Stromversorgung da war, kappte die Telefonverbindung ab, sprich kein Internet mehr. Solche Lappalien brachten unsere Terminplanung teilweise schön ins hintertreffen. Zudem war es ab März mit 45°, auch sehr heiss. Und wenn dann die Deckenventilatoren ausfielen, merkten wir dies gewaltig. Wir versuchten uns daran zu gewöhnen und dank unserer Mitgebrachten Laptops konnten wir auch in stromlosen Momenten arbeiten. Offline zumindest.
Die Arbeit zu beschreiben ist weniger spannend, wie alle anderen Dinge die man erlebt hat. Darum:
Eintauchen und staunen
Beispielsweise die Erinnerungswürdige traditionelle Nord-Indische Hochzeit in einem kleinen Dorf mittem in der Chambal Region. Wo wir uns tanzend durchs Dorf vom Bräutigam zur Braut bewegt haben. Mit viel Ach und Krach die Braut an der Türschwelle empfangen und dann den Bräutigam für eine Nacht der Familie seiner zukünftigen Frau überlassen, danach, umringt von 30 neugierigen Kinder und Männer, das prachtvolle Hochzeitsmal zu uns genommen haben. Ein Erlebnis dass nicht nur durch seine Lautstärke, den Menschen und den Farben in Erinnerung bleibt, sondern auch die radikal andere Lebensweise, Freiheiten und Einstellungen die daraus resultieren.
Oder der Marsch mit den Ekta Parishad Aktivisten, die ein Gewaltlosigkeits-Training sowie Padyatra Traininig (Youth Camp) im Sinne Gandhis absolviert haben, in dem sie 4 Tage von einem Dorf zum anderen gelaufen sind. Stehts singend und die Fahnen hoch über den Köpfen schwenkend. Die Gewaltlosigkeit (Ahimsa) so ausgiebig zu thematisieren und zu fördern, sich stets auf die Prinzipien Gandhis zu berufen ist sehr erstrebenswert und nicht nur Indien gefragt. In den abgelegensten Dörfer zu übernachten um dann in aller früh weiter zu marschieren beeindruckte mich sehr. Die Fragen welche mir gestellt wurden unterstrichen die Differenz unserer Lebensauffassung. Ein unglaublich lehrreicher Prozess. Denn wie begründe ich mit 27, dass ich NICHT mehr bei meinen Eltern wohne, oder noch IMMER kein eigenes Stück Land besitze und meine Wohnung nur miete oder NOCH unverheiratet bin... Schwer zu erklären.
Farbenprächtig war auch das Holi Festival. Das Fest der Farben. Fast zeitgleich mit der Fasnacht feiert man den Einzug der heissen Jahreszeit und die Gemeinschaft (Nachbarschaft). Ich war zu dieser Zeit in New Delhi in der Gandhi Peace Foundation auf Besuch und feierte in einem geschlossenen Familien und Nachbarkreis. So gingen wir zusammen von Tür zu Tür und strichen voller Freude zur Begrüssung kunterbunte Farbpigmente einander ins Gesicht bis wir von Oben bis unten mit Farb überschüttet waren.
Und natürlich bringt einem Indien als Multikultureller, Multilingualer, Multireligiöser Subkontinent in all seinen Facetten mehr als nur zum staunen. Doch lassen wir ein paar Bilder sprechen.
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Dort wo die Bio-Baumwolle wächst
Eindrucksvoll war auch der Besuch bei BioRe India von Remei AG, welche die Baumwolle für die Coop Naturaline herstellen. Weit weg von Grossstädten 3 Busstunden von Indore entfernt 5km ausserhalb des kleinen Städtchens Kasrawad liegt das wunderschöne Zentrum von BioRe. Dort produzieren sie nicht nur biolgische und faire Baumwolle, sie forschen auch zusammen mit FiBL an neuen, besseren Anbau-Techniken. Auf ihren Forschungsfelder vergleichen sie über 5 Jahre hinweg die verschiedenen Anbau-Techniken im direkten Vergleich miteinander. Vom konventionellen-, Gentech-, biologischen- bis hin zum Bio-dynamischen Anbau ergründen sie die unterschiedlichen Vor- und Nachteile. Ihr Fazit, biologischer- oder gar biodynamischer Anbau gewinnt in den meisten Kriterien.
Die Zwischenresultate von Rajivs Forschungen: Rajiv ist der Leiter des Forschungsteams.
B.T. Cotton braucht weniger Pestizide, Betonung auf weniger, jedoch deutlich mehr Dünger. Konventioneller Anbau versalzt die Böden und übersäuert sie, so dass sie jährlich verschlechtern. Biologische Baumwolle hat eine kleinere Ernte, kann aber teurer verkauft werden. Kann somit ökonomisch mithalten und ist (bio)logischerweise besser für die Umwelt. Bio-Dynamik braucht ein vertieftes Fachwissen (Antroposophischer «Glauben») über diese Anbau Methode, doch fand ich nicht heraus ob es mehr oder weniger grosse Ernteertrag gibt.
Es war spannend und schön zugleich durch das Testgelände zu streifen. Zu sehen, dass sie überall Kuhmist-Komposthaufen aufstellen. Sie tun dies so intensiv, dass sie nun diese gute nährstoffreiche Erde verkaufen können. Andere Bauern verbrennen einfach ihre Grünzeug Abfälle. Rajiv erzählt voller Leidenschaft von seinem Beruf und er möchte möglichst viele Bauern überzeugen, dass sie zum biologischen Anbau wechseln, leider klappt dies nicht immer. Die Angst vor der Investition sowie die Abhängigkeit ist sehr gross. Denn ein konventionell bepflanztes Feld kann nicht in der nächsten Ernte biologisch sein. Dies kann bis zu 5 Jahren dauern. Somit hat man dann Hybrid Ernten, die kleiner sind als die konventionelle, aber noch nicht als Bio-Baumwolle verkauft werden können. Somit versteht man die Problematik dieser Bauern.
Und genau dort kommt die BioRe Association ins Spiel. Die Sozialprojekte von BioRe haben 4 Grundausrichtungen.
- Ausbildungszentren für landwirtschaftliche Schulungen
- Mikrokredite und zinslose Darlehen - sowie Cooperative-Banking
- Mobile Gesundheitszentrum (Mobile Hospital)
- Animations Dorf-Schulen
Wie kommt man zu einem Ende?
Diese Frage bezieht sich nicht nur auf diesen Blogeintrag, welcher eigentlich noch viel ausführlicher werden könnte. Auch für meinen Zivildienst Einsatz stellte sich diese Frage deutlich. ich beendete meinen Einsatz mit einem ausführlichen Workshop und der Präsentation der Webseite www.ektamedia.org. Wir luden 17 Ekta Parishad Aktivisten aus 7 Bundesstaaten ein. Wir mussten Internet-Technisch bei Null anfangen. Bei der Frage: «Was ist Google?». Der Workshop widerspiegelte meinen Zivildienst Einsatz in sehr vielen Facetten.
Er löste viele Fragen aus, die erst durch den 6 monatigen Prozess heraus kristallisiert haben. Denn die Übersicht und das Fazit auf welchem digitalen Level Ekta Parishad steckte wurde mit meinem Einsatz erst so richtig deutlich.
Die zukünftigen Ziele sind demnach auch sehr ambitiös. Der wichtigste Schritt ist die Demokratisierung der Online Verantwortung sowie Kommunikation. Denn während die gesamte Ekta Parishad Organisation als Bewegung die Basis demokratischen Strukturen fördert, gab es im Internet eine totales Nadelöhr des Kommunikations Flusses auf eine Person.
Dies soll mit der neuen Ektamedia Webseite aufgebrochen werden. Nun können alle jenige die eine Account haben Inhalt hochladen und die Seite verwalten. Zum Start sind dies 17 Personen von unterschiedlichsten Regionen mit unterschiedlichsten Funktionen und Kenntnissen. Die Herausforderung wird die Qualitätssicherung der Uploads sein.
Eine grosse Ehre für die ganze Arbeit ist, dass die Ekta Media Webseite schon bald die offizielle Organisations-Webseite wird. Dies freute mich sehr und fördert hoffentlich auch die Beteilgung der Aktivisten, auch im Online Bereich tätig zu werden.
Die Reise hat mich gepackt, gefordert und überfordert. Mich zum nachdenken angeregt und eine Welt geöffnert die ich zuvor nicht in dieser Einsicht und Tiefe erlebt habe.
Meine Unterstützung wird weiterhin bleiben, ich werde diese Seite weiterhin aufbauen, die Leute schulen (Video-Tutorials) und versuchen so, die Informations-Lücken langsam zu schliessen.
Was kann man noch als Schluss anfügen?
Geht und seht selbst! 2012 ist der nächste grosse Marsch (Jan Satyagraha) von Ekta Parishad, wo 100'000 Menschen während eines Monats 350 Kilometer Richtung Delhi laufen. Wird dann Geschichte geschrieben? Ekta Parishads Wunsch, Gandhi's Weg zu Ende zu führen Realität? Wir werden sehen.