…und jetzt schon auf der Medienbühne
Von Erich Schwarz | Campaigning & Fundraising | 13.07.2015
Erfahrungen aus der Erbschaftssteuer-Kampagne, vom FEINTalk 1. Juli 2015
Am FEINTalk am 1. Juli sprachen unsere Campaigning-Expertinnen und Experten über die Erfahrungen aus der kürzlich beendeten Erbschaftssteuer-Kampagne. Aus diesem Vortrag haben wir einige Aspekte herausgepickt.
Die Konzentration der Kräfte: wann ist man in welchen Kanälen aktiv?
Am 29. April lancierten wir die Kampagne. Vier thematische Web-Auftritte (die Brüder Meili als Auftraggeber plus die Argumente je für ein FDP- und ein CVP-Publikum plus eine Seite fürs Mitmachen) gingen online, je ein Facebook- und ein Twitter-Kanal starteten gleichzeitig jeweils zu den ersten drei Webseiten. Während den 6 Wochen bis zur Abstimmung investierten wir einiges in frischen Content (Studien, relevante Fakten, Videos, Grafiken) und bewarben die Beiträge auch regelmässig.
Learning 1: Da die Gegenkampagne («KMU-Killer») bereits schon Monate vorher loslegte, konnte sie früher an die Anwerbung gleichgesinnter Social Media-Besucher gehen. Somit war ihr bis zu unserem Kampagnenstart die Social Media-Arena sicher. Unabhängig von der Gegenseite kann bei einem früheren Kampagnenstart die Community einfach mehr wachsen.
Learning 2: Der Aufbau der vier Webseiten und die inhaltliche Pflege von 6 Social-Media-Kanälen war erwartungsgemäss sehr aufwendig. Es gilt für ein nächstes Mal sich genau zu überlegen, welche Kanäle genutzt werden.
In verschiedenen Szenarien zu denken bringt Handlungssicherheit
Die Erbschaftssteuer-Abstimmung war für unsere Auftraggeber ganz klar mit einem liberalen Grundgedanken verbunden. Da sich die NZZ mit einem läppischen Bericht über den Kampagnenstart des offiziellen Kommitees bloss lustig machte, ohne auf die Inhalte einzugehen, war mit der urliberalen Zeitung ein dankbares Angriffsziel gefunden. Mit dem Durchspielen von Wenn ja/Wenn nein-Szenarios hielten wir bei dieser Konfrontation auf alle möglichen Handlungsausgänge eine passende Aktion als Antwort bereit. Das Wissen über die Vielfalt von Optionen verleiht im Campaigning Handlungssicherheit.
Reagieren zu können verlangt plötzlich unerwartete Ressourcen
Einzelne Massnahmen hängen bei einer Kampagne stark voneinander ab. Weil die Medien die Gebrüder Meili als spannende Protagonisten entdeckten, wurde dieser Themenzugang verstärkt. Die an CVP-Wählende ausgerichtete Webseite wurde klar weniger wichtig. Diese Entwicklung bedingte, dass die Meilis als Personen fassbarer wurden. Sie entwickelten sich daher in ihrer eigenen Kampagne immer mehr zu Aushängeschildern, was eine verstärkte physische Präsenz für Medientermine erforderte.
Learning: Bei einer Kampagne muss man schnell adaptieren. Die Konzentration der Medien auf die Brüder Meili benötigt ihre erhöhte zeitliche Bereitschaft. Für die dafür nötige Koordination zwischen Agentur und Auftraggeber war das Online-Zusammenarbeitsinstrument Basecamp eine grosse Hilfe.
Effizientes Tool: Retargeting
Die Kampagne-Webseiten und die entsprechenden Social Media-Profile waren eine wertvolle Quelle, um die Besucher später für die Mobilisierung vor der Abstimmung zu aktivieren. Technisch wird dem Nutzer der Kampagnen-Seiten ein Cookie angehängt, dass ihn später wieder auffinden lässt. Wichtig aus Datenschutzgründen bleibt aber, dass die Benutzung dieser Cookies auf der Webseite angegeben ist.
Learning: In unserem Fall haben alle Besucher der Kampagnen-Profile vor der Abstimmung eine Handlungsaufforderung gekriegt. Diese war nach Kanal (Meilis, CVP- oder FDP-Argumente) unterschiedlich. In Zukunft sollten wir aber verfeinerte Daten über die Besucher haben, um die Botschaften noch besser individualisieren zu können.
Eine gute Story in der Community ergibt Crowdfunding-Potential
Geschichten sollte man pflücken, wenn sie sich einem anbieten. Für die liberale Idee der Erbschaftssteuer nutzen wir das Bleistift-Motiv der NZZ, die sich als Verfechter des Liberalismus verstehen. Bei ihrer anfangs herablassenden Berichterstattung über das Thema knüpften die Meilis an: Mit einem offenen Brief an den Chefredaktor wünschten sie sich eine intellektuelle Auseinandersetzung. Mit der (zu erwartenden) ausbleibenden Antwort war das Feld bereit, die eigene Community konkret zu mobilisieren. Das NZZ-Inserat mit dem Bleistift-Motiv wurde nach einem Youtube-Aufruf von 110 Unterstützern innert wenigen Tagen finanziert.
Learning: Crowdfunding bietet sich nicht nur bei NGOs im Fundraising an, sondern gerade auch während Wahl- und Abstimmungskampagnen. Bedingungen sind: Es besteht eine gewisse Community, die das Vorhaben voll und ganz unterstützt und das zu finanzierende Projekt muss klar und einfach mit einer guten Story zu vermitteln sein.