«Facebook ist eine alte Dampflokomotive»: Gespräch mit Christian Engeli, Kampagnenleiter Greenpeace
Von Daniel Graf | Campaigning & Fundraising | 14.10.2013
Die Regenbogen-Krieger melden sich zurück: Der Greenpeace-Protest gegen Erdölbohrungen in der Arktis sorgt weltweit für Schlagzeilen. Mitverantwortlich für die spektakuläre Transparentaktion im St. Jakob Stadion war Christian Engeli, Kampagnenleiter von Greenpeace Schweiz. Ein Interview über erfolgreiches Campaiging im Netz und auf der Strasse.
Können Sie als Kampagnenleiter auch klettern?
Christian Engeli: Nein, ich sehe meine Aufgabe im Hintergrund, damit die anderen ihren Job gut machen können.
Die Kletteraktion im St. Jakob Stadion hat Greenpeace viel Aufmerksamkeit beschert. Viele NGOs würden sich wünschen, eine Klettertruppe zu haben. Wie gross ist das Team?
Dazu kann ich nichts verraten. Unsere Aktivisten sind alle Freiwillige und das Gegenteil einer Eliteeinheit, die per Knopfdruck abrufbar ist. Sie klettern für Greenpeace, weil sie etwas bewegen wollen.
Spektakuläre Aktionen sind mit Risiken verbunden. Wer darf mitmachen?
Aktivisten müssen bereit sein, gewaltfrei für ihre Überzeugungen einzustehen. Wir rennen niemals weg. Ich muss anfügen: Greenpeace macht viele Aktionen, die mit keinerlei Risiken verbunden sind. Nur berichten die Medien dann weniger darüber.
Greenpeace ist daran, die internationalen Strukturen umzubauen.
Die Herausforderungen im Umweltbereich machen vor keiner nationalen Grenze halt. Es dient der Sache überhaupt nicht, wenn wir uns auf Heimatschutz in der Schweiz beschränken. Hier sind wir in den letzten Jahren noch konsequenter geworden.
Schaut man sich die Fotos der Arktis-Aktion an, hat man das Gefühl, Greenpeace sei wieder mehr «Warrior» als «Rainbow», wie ein Journalist treffend bemerkt hat. Täuscht der Eindruck?
Was Greenpeace für mich einzigartig macht, ist die Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten. So machen wir auf Themen aufmerksam, die hartnäckig ignoriert werden. Gezielte Aktionen wie in der Arktis können einen Impuls geben, um etwas ins Rollen zu bringen.
Die Petition für die verhafteten Aktivisten wurde von mehr als 1 Million Menschen unterzeichnet. Zusätzlich zur Email-Adresse wurde ich auch um meine Handy-Nummer gebeten. Bekomme ich bei der Freilassung ein Dankes-SMS von Marco?
Es gibt dafür keinen konkreten Plan. Wir wollen die Möglichkeit haben, im Notfall die Unterstützer innerhalb weniger Stunden persönlich zu kontaktieren. Email ist für eine kurzfristige Mobilisierung ein Auslaufmodell.
Greenpeace hat innerhalb einer Woche mehr als 5'000 neue Fans auf Facebook gewonnen. Habt ihr auch Werbung geschaltet?
Bei grossen Kampagnen nutzen wir die Marketing-Möglichkeiten auf Facebook. Das ist Teil unserer Online-Strategie. Der rasante Zuwachs in den letzten Wochen ist aber alleine auf die Medienpräsenz zurückzuführen.
Welche Rolle spielt Social Media für die Arktis-Kampagne?
Twitter war der wichtigste Kanal, um News zu transportieren. Wer wissen wollte, was gerade mit dem Greenpeace-Schiff und der Besatzung passierte, konnte unsere Tweets lesen. Bei der Umlaufgeschwindigkeit wirkt Facebook im Vergleich wie eine alte Dampflokomotive. Die Plattform ist aber der emotionalere Kanal. Mit Bildern und Videos erzählen wir auf Facebook die Geschichte der Kampagne.
Erfolg ruft Kritiker auf den Plan. Hat der Wind gedreht? Nicht alle Fussballfans waren von der Stadionaktion begeistert.
Mit Kritik wurden wir bereits zu Beginn der Arktis-Aktion eingedeckt. Ich war schockiert, als ich die vielen negativen Leserkommentare in den Online-Zeitungen las. Im Gegensatz dazu fielen die Reaktionen nach Basel mehrheitlich positiv aus. Aktionen mit einer Prise Humor kommen beim Publikum einfach besser an.
Bestätigt sich die Regel, dass eine Organisation mit grosser Medienpräsenz früher oder später selbst ins Visier der Journalisten gerät?
Die Gefahr besteht. Medien sind hungrig nach Schlagzeilen. Bei der Arktis-Aktion passierte in den letzten Wochen so viel, dass es täglich News gab. Das ist ein Grund, weshalb wir auf keinem Nebengleis gelandet sind.
Wir haben von globalen Umweltthemen gesprochen. Wo brennt es in der Schweiz?
Die Frage ist falsch gestellt: Die Arktis liegt auch in der Schweiz. Wir wollen in den nächsten Wochen den Druck erhöhen, damit der Bundesrat alles unternimmt, um die Ölbohrungen in der Arktis zu stoppen. Sie können zu Umweltkatastrophen führen, die uns alle betreffen.
Interview: Daniel Graf, Kommunikation und Strategie, FEINHEIT