Carmen unterstrich in ihrem Inputreferat die besondere Herausforderung von Sensibilisierungskampagnen: «In solchen Kampagnen geht es darum, Menschen nicht bloss zu informieren, sondern sie so zu berühren, dass sich ihre Wahrnehmung, Haltung oder Aufmerksamkeit gegenüber einem Thema nachhaltig verändert.»
Drei erfolgversprechende Ansätze
Wie kann das gelingen? Erstens sei es durchaus möglich, mit klassischen Werbekampagnen erfolgreich zu sensibilisieren – wenn mit entsprechend grosser Kelle angerührt werde. Als Beispiel nannte Carmen die BAG-Kampagne für Hygienemassnahmen während der Corona-Pandemie, die Love Life-Kampagne oder auch die Energiespar-Kampagne.
Ein zweiter Ansatz, der auch ohne Millionenbudget verfolgt werden kann, sind Community-Building-Kampagnen. Am Anfang steht dabei etwa die Aufforderung, eine Petition zu unterschreiben oder ein Gadget zu bestellen. Daran schliesst sich (nach entsprechender Einwilligung) eine Journey an, die Menschen nachhaltig an das Anliegen oder an die Organisation binden kann.
Während Community-Building-Kampagnen die Leute zur Kampagne holen, zielen Netzwerk-Kampagnen darauf ab, die Kampagne zu den Leuten zu bringen. Neben klassischen Werbemitteln kommen dabei etwa Kampagnen-Kits, Tools, Factsheets oder replizierbare Event-Vorlagen zum Einsatz. Mitglieder des Netzwerks werden so selbst zu Campaigner:innen.
Von kommerziellen Kampagnen lernen
Können wir angesichts der Besonderheiten von Sensibilisierungskampagnen etwas von kommerziellen Kampagnen lernen? Ja, meint Carmen. So hätten kommerzielle Werbekampagnen fast immer einen klaren Call to Action («jetzt kaufen!»). Bei Sensibilisierungskampagnen fehle oft diese Klarheit, auch, weil gleichzeitig Campaigning-Ziele und Fundraising-Ziele verfolgt werden. Hier gelte es, Zielkonflikte ehrlich zu klären und klare Zwischenziele zu formulieren.
Darüber hinaus setzen kommerzielle Kampagnen oft auf einfache, zugespitzte Botschaften, die über einen langen Zeitraum wiederholt, wiederholt und nochmals wiederholt werden. Bei Sensibilisierungskampagnen bestehe dagegen oft ein hoher Anspruch auf inhaltliche Korrektheit, der Zuspitzung und Einfachheit manchmal etwas im Wege steht. Manchmal führe auch die Themenvielfalt zu oft wechselnden Kampagnen, von denen dann keine die nötige Durchschlagskraft entwickeln könne. Hier hilft es, auf Grundlage eines Narrativs eine längerfristige Kampagne oder eine cleveres Storytelling mit entsprechend längerfristig angelegten Dramaturgie zu entwickeln.
Und schliesslich gebe es bei kommerziellen Kampagnen häufiger klare Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen, etwa bei der Marketingabteilung einer Firma. Bei NGO reden hingegen meist unterschiedliche interne Anspruchsgruppen mit; oft sind auch mehrere Organisationen gemeinsam an einer Kampagne beteiligt. Deshalb sei es wichtig, Rollen und Entscheidungskompetenzen vor dem Projektstart verbindlich zu klären.
Angebote machen und loslassen
In der anschliessenden Diskussion ergänzten Dayana Mordasini und Lucia Plaen die Ausführungen von Carmen mit ihren Erfahrungen aus Verwaltung und NGOs.
Plakate spielten nach wie vor eine wichtige Rolle für die Sensibilisierungsarbeit der Stadt Zürich, erklärte Dayana – sie genügten aber nicht. Oft setze man deshalb auf Netzwerk-Kampagnen, wobei unterschiedliche Anspruchsgruppen von Anfang an in Partizipationsprozesse einbezogen werden. Wichtig sei es, zielgruppenspezifische Abwandlungen zuzulassen. In der Clubszene müssten Botschaften beispielsweise anders formuliert sein als auf einem Plakat, das auf öffentlichem Grund der Stadt steht. Es gelte, den Multiplikator:innen Angebote zu machen, etwa indem Schulungen durchgeführt oder Tools zur Verfügung gestellt werden.
Dayana verantwortet unter anderem die Kampagne «Zürich schaut hin», die Sensibilisierungsarbeit gegen Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit leistet. Für diese Kampagne entwickelte Feinheit unter anderem ein Meldetool für Betroffene, das nun auch in Luzern und Bern zum Einsatz kommt. «Man kann viel bewirken, wenn einem egal ist, wer ursprünglich mal die Idee hatte», so Dayana.
Ungeahnte Wirkungen
Lucia Plaen war in ihrer beruflichen Laufbahn für sehr grosse und auch kleinere NGOs tätig. An ihrer jetzigen Tätigkeit bei Pro Velo schätze sie, dass es in einem kleinen Team viel einfacher sei, unterschiedliche Ziele zu gewichten. Als Lieblingskampagne, an der sie beteiligt war, nennt Lucia aber die Amnesty-Kampagne zum Sexualstrafrecht – wohl eine der erfolgreichsten Sensibilisierungskampagnen überhaupt in der Schweiz, die am Ende eine Gesetzesänderung erreichte.
Am Anfang stand dabei eine GFS-Umfrage im Auftrag von Amnesty, die zeigte, dass jede fünfte Frau in der Schweiz sexualisierte Gewalt erlebt hat. Das gab der Kampagne einen klaren Fokus und war für die Medienarbeit wichtig, so Lucia. Angesichts der Sensibilität des Themas wurde das Narrativ der Kampagne gemeinsam mit Betroffenen entwickelt. Fünf Jahre später wurde mit einer zweiten Umfrage evaluiert, wie sich die Einstellungen zum Sexualstrafrecht verändert hatten.
Die Frage, wie die Wirkung von Sensibilisierungskampagnen gemessen werden kann, beschäftigte auch Carmen und Dayana. Neben Meinungsumfragen (die ziemlich teuer sind) können die Messung von eindeutigen KPI und qualitative Gespräche wichtige Hinweise liefern, sind sich alle drei einig. Überraschend für Lucia kam allerdings Dayanas Aussage, dass die GFS-Umfrage von Amnesty auch ein wichtiger Auslöser für «Zürich schaut hin» war. Das zeigt: Manchmal entfalten Sensibilisierungskampagnen ungeahnte Wirkungen.
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