Fehlerhafte BFS-Wahldaten: eine Panne mit Ansage?
Von Carmen Schoder | Politik | 27.10.2023
Wieso sich die öffentliche Verwaltung in der Schweiz mit Digitalisierungsprojekten so schwer tut und was wir vom Rechenfehler des BFS lernen können.
Zwei Tage nach den Wahlen kommunizierte das Bundesamt für Statistik (BFS) einen Rechenfehler: Die Wähler:innenanteile vom Wahlsonntag stimmten nicht und mussten korrigiert werden. Die SP legt Wähler:innenanteile zu, die SVP gewinnt etwas weniger stark und die Mitte fällt wieder hinter die FDP zurück - die Sitzverteilung bleibt gleich. Damit ändert sich das Narrativ der Wahlen: Es ist ein “Rechtsrütschli” und kein Rechtsrutsch mehr, das historische Ergebnis der Mitte löst sich in Luft auf.
So kam es zum Rechenfehler
Gemäss eigenen Angaben des BFS entstand der Fehler, weil drei Kantone (Glarus Appenzell-Innerrhoden und Appenzell-Ausserrhoden) die Daten anders strukturierten und es einen Fehler an der technischen Schnittstelle zum System des BFS gab. Aufgrund dieses Schnittstellenfehlers wurden die Zahlen aus diesen Kantonen mehrfach in die nationale Parteienstärke eingerechnet und die nationalen Zahlen so verfälscht. Beim vertieften Gegencheck am Montag fiel der Fehler dann auf - und wurde sofort kommuniziert.
Das BFS muss sich deshalb gerade sehr viel Spott und Schelte anhören: Sowas dürfe nicht passieren, ein kolossaler Fehler, ein riesiger staatspolitischer Schaden, Erodierung des Vertrauens.
Natürlich ist der Fehler gravierend und die Kritik ist berechtigt. Aus kommunikativer Sicht ist klar, dass das erste Narrativ stärker und die Korrektur davon sehr schwierig ist. Das ist problematisch. Das Testing der Datenintegration war offenbar ebenfalls unzureichend und vielleicht wäre ein händischer Gegencheck am Sonntag - und nicht erst am Montag - keine schlechte Idee gewesen.
Allerdings zeigt die Causa BFS zwei Dinge exemplarisch:
- Die Schweiz kennt keine Fehlerkultur. Dadurch ist das Land der Buchhalter und Ingenieurinnen nicht vorbereitet auf Digitalisierungsprojekte.
- Der Stand der Digitalisierung in den öffentlichen Verwaltungen ist auf dem Niveau der 2000er Jahre stecken geblieben.
Die beiden Aspekte hängen zusammen und sie sind keine gute Kombination im digitalen Zeitalter.
Diese Risiken lauern bei Digitalisierungsprojekten
Fehler passieren, und sie passieren vor allem unter grossem Druck, keine Fehler machen zu dürfen. Mit einer angemessenen Fehlerkultur im laufenden Projekt wäre der Schnittstellenfehler vermutlich früher sichtbar geworden. Weil jeder Fehler, der im Entwicklungsprozess vertrauensvoll gemeldet werden kann, das Produkt am Ende besser macht. Oder anders gesagt: Weniger Fehler dank Fehlerkultur.
Erschwerend kommt hinzu, dass die öffentliche Verwaltung Projekte für digitale Infrastruktur sehr ähnlich behandelt wie Projekte für Infrastruktur im öffentlichen Raum. Wir müssen aber anerkennen, dass der Bau einer Strasse und der Bau einer technischen Schnittstelle nicht dasselbe ist und sich das Projektmanagement fundamental unterscheidet. Projektstrukturen, die für den Strassenbau funktionieren mögen, erhöhen die Fehlerquote bei Digitalisierungsprojekten.
Das BFS schreibt in seiner Mitteilung auch davon, dass es künftig mehr Kontrollpersonal am Wahltag einsetzen möchte. Departementsvorsteher Berset hat eine Administrativuntersuchung angeordnet zur Analyse und Verbesserung der Prozesse des BFS. Offenbar wurde also am Wahltag zu wenig Personal eingeplant. Wurden auch bei der Entwicklung und dem Testing der Schnittstelle zu wenig Ressourcen eingeplant? Wurde das Projekt so organisiert, dass es den Anforderungen eines Digitalisierungsprojektes entsprach? Hat das BFS diese technische Schnittstelle überhaupt genügend ernst genommen?
Der Föderalismus als zusätzliche Herausforderung
Ein weiterer Aspekt der Misere ist der Föderalismus: Wie kann es sein, dass sich bei nationalen Projekten die Kantone nicht zwingend den technischen Vorgaben der Bundesverwaltung unterordnen müssen? Glarus und die beiden Appenzell hätten die Daten im Minimum nach den Vorgaben der Bundesverwaltung strukturieren müssen – “wir haben nur einen Sitz” hin oder her.
Solange die Kantone das Gefühl haben, dass sie durch die Digitalisierung Souveränität abgeben müssen und sich gegen neue Projektmodelle wehren, werden Digitalisierungsprojekte der Verwaltung immer und immer wieder scheitern oder nicht nützlich sein. Zentral entwickelte Infrastruktur untergräbt nicht die Souveränität der Kantone, sondern spart Ressourcen und liefert nützliche und bessere Ergebnisse. Genau so, wie wir uns bei der Bahninfrastruktur irgendwann darauf geeinigt haben, dass es wohl nicht so schlau ist, wenn jeder Kanton eigene Brötchen backt.
Wie wir aus dem Rechenfehler lernen können
Nochmals: Der Fehler des BFS ist auf mehreren Ebenen gravierend. Aber wir müssen versuchen zu verstehen, wie es dazu kam - und dort ansetzen. Die unterschiedliche Anforderung an Digitalisierungsprojekte muss bei den öffentlichen Verwaltungen endlich ernst genommen werden. Und wir täten gut daran, kollektiv an unserer Fehlerkultur zu arbeiten, um Fehlern vorzubeugen, wenn sie wirklich nicht passieren sollten.